Brauchen wir eine Viertagewoche?

Vier Tage bezahlte Arbeit, drei Tage Wochenende: Sieht so die Arbeitswelt von morgen aus? Ein Für und Wider.

Eine Befragung der Bertelsmann Stiftung zeigt, dass Menschen in Deutschland im Schnitt weniger arbeiten wollen. 37 Stunden pro Woche wünschen sich die befragten Männer, 30 Stunden wollen Frauen arbeiten. Weniger Arbeitszeit bei gleichem Gehalt: Wäre die vorgeschriebene Viertagewoche nicht ein geeignetes Modell, das besonders Arbeitnehmer*innen zugutekommt?

Wir haben zwei Menschen gefragt, die sich intensiv mit dem Modell beschäftigt haben: Das Unternehmen Einhorn, in dem Linda Preil arbeitet, hat die Viertagewoche schon vor einiger Zeit eingeführt. Sie selbst sitzt im sogenannten „Peoplerat“, der die Umsetzung der Arbeitszeitverkürzung organisiert hat. Jasmin Arbabian-Vogel ist Präsidentin des Verbands deutscher Unternehmerinnen, der sich für die Interessen von Unternehmerinnen und beispielsweise für mehr Frauen in Führungspositionen einsetzt. Über das Modell der Viertagewoche diskutiert sie auch mit den Verbandsmitgliedern.

Sollte die Viertagewoche der neue Standard sein?

Ja, sagt Linda Preil, Head of Rubber Projects und Peoplerat bei Einhorn

Ja, denn die Viertagewoche ist zeitgemäß. Sie entspricht den Bedürfnissen der jüngeren Generationen, die die Zukunft des Arbeitsmarkts sind. Deshalb haben wir bei Einhorn die klassische 40-Stunden-Woche abgeschafft. Die neue Vollzeitstelle beträgt seit vergangenem Jahr 32 Stunden – bei vollem Gehalt. Dabei kann jede*r selbst entscheiden, wie sie oder er sich die Wochenarbeitszeit einteilt. In Summe haben wir damit bisher gute Erfahrungen gemacht: Wir schaffen als Unternehmen das, was wir uns vorgenommen haben, aber in weniger Arbeitszeit.

Linda Preil ist Head of Rubber Projects und Peoplerat bei Einhorn © Hella Wittenberg

Wir hatten bei Einhorn relativ günstige Voraussetzungen für diese Umstellung. Schon vorher hat etwa die Hälfte unserer Kolleginnen und Kollegen in Teilzeit gearbeitet. Zum Beispiel, weil sie Kinder haben oder eine kranke Mutter betreuen. Das hat uns den Impuls gegeben, zu fragen: Warum sind 32 Stunden eigentlich nicht der Regelfall? Wir haben alle ein Leben außerhalb der Arbeit, dem wir mehr Raum geben wollen. Zugleich waren wir es durch die Teilzeitkolleg*innen bereits gewohnt, bestimmte Absprachen zu treffen und Prozesse entsprechend zu organisieren. So kamen wir dazu, die 32-Stunden-Woche ein halbes Jahr lang als neue Vollzeitoption zu testen. Diese Testphase haben wir mit Umfragen begleitet, um zu schauen, was sich verändert, was gut funktioniert und was weniger gut.

Dabei haben wir viel gelernt. Vor allem: effizienter zu werden. Wir haben analysiert, welche Tätigkeiten wie viel Zeit kosten und wo sie sich einsparen lassen. Es ist phänomenal, wie viel Zeit man in Absprachen und Meetings verbringt. In dem Zuge haben wir unter anderem unsere Standard-Meeting-Zeit von einer Stunde auf eine halbe reduziert und bestimmte Meetings nur noch jede zweite Woche angesetzt. Dabei haben wir gemerkt, das geht – wenn wir die Meetings etwas anders vorbereiten und durchführen. Solche Maßnahmen haben dazu beigetragen, dass die verringerte Arbeitszeit nicht in Stress für Einzelne ausgeartet ist. Voraussetzung dafür war sicher auch, dass wir schon vorher eine Vertrauensarbeitszeit mit gewissen Kernzeiten hatten. Wir wussten also, mit dieser Flexibilität umzugehen.

Ich habe den Eindruck, dass das Stresslevel bei den Kolleginnen und Kollegen seit der Umstellung eher gesunken ist.
Linda Preil

Nach der Testphase haben wir die 32-Stunden-Woche eingeführt. Dafür war unser Peoplerat zuständig. Er besteht aus drei Personen und ersetzt gewissermaßen die Personalabteilung. Es gibt sonst nur eine Lohnbuchhaltung, alle anderen HR-Themen übernehmen wir im Peoplerat. Dazu gehören die Organisation des Onboarding-Prozesses, die Moderation von Konflikten oder eben auch die Einführung der neuen Wochenarbeitszeit. Dadurch, dass wir bei Einhorn stark selbst organisiert und mit flachen Hierarchien arbeiten, konnten wir die Einführung relativ schnell umsetzen.

Heute leben wir die 32-Stunden-Woche seit etwa einem Jahr und sind unterm Strich sehr zufrieden damit. Natürlich gibt es immer mal Einzelfälle, wo man merkt, dass sich Probleme ergeben. Wir sind zwar ein digitales Unternehmen, doch haben auch ein Tagesgeschäft: Der Onlineshop und die Logistik dahinter müssen von Montag bis Freitag laufen. Da gab es einige Prozesse, die sich neu einspielen mussten, aber man findet Lösungen dafür. Ich habe den Eindruck, dass das Stresslevel der Kolleg*innen seit der Umstellung eher gesunken ist. Die meisten bei uns sind zwischen 30 und 40 Jahre alt und haben kleine Kinder zu Hause. Da ist es eine Erleichterung, sagen zu können: Es ist halb vier, die Kita macht zu, und ich kann ohne schlechtes Gewissen den Arbeitstag beenden.

Es geht den jüngeren Generationen nicht darum, möglichst wenig Zeit bei der Arbeit abzusitzen und dann nach Hause gehen zu können. Die Unterstellung, die jüngeren Leute seien faul und nicht mehr leistungsstark, halte ich für vollkommen falsch. Das impliziert so eine Passivität, die ich gar nicht wahrnehme. Es gibt sehr viele motivierte Menschen, die Lust haben, etwas zu verändern und zu gestalten. Dass man dann auch mal mehr als die 32 Stunden arbeitet, ist klar. Die Motivation, mitzuwirken, ist sehr stark – nur eben nicht um jeden Preis.

 

Nein, sagt Jasmin Arbabian-Vogel, Präsidentin des Verbands deutscher Unternehmerinnen und geschäftsführende Gesellschafterin der Interkultureller Sozialdienst GmbH

 

In meiner Brust schlagen zwei Herzen, wenn es um die Viertagewoche geht. Als Bürgerin und Mutter nehme ich wahr, dass die Generation meiner Kinder, zumindest in Teilen, andere Werte hat und Erfolg anders definiert, als ich und viele in meiner Generation es tun. Das Maß aller Dinge ist nicht die 60-Stunden-Woche oder wie dick das Bankkonto ist. Diese Entwicklung finde ich positiv, denn wir müssen die Wirtschaft und die Art, wie wir miteinander arbeiten, neu denken. Doch als Unternehmerin sehe ich die Viertagewoche kritisch – besonders, wenn sie als Allheilmittel gehandelt wird, das politisch verordnet werden sollte.

Es gibt große strukturelle Unterschiede zwischen unterschiedlichen Branchen, die zu einer Spaltung im Arbeitsmarkt führen. Bürojobs konnten während der Coronapandemie relativ problemlos ins Homeoffice verlagert werden. Für andere Berufe war und ist dies nicht möglich, etwa bei Feuerwehren oder in der Pflege. Genau für diese oft systemrelevanten Berufe ist auch die Einführung einer Viertagewoche bei vollem Lohnausgleich unrealistisch. Denn dafür braucht es eine höhere Produktivität der Mitarbeiter*innen, die nicht einfach durch eine bessere Organisation zu erzielen ist, wie etwa bei einer Agentur oder einem Start-up. Wenn ein*e Patient*in dreimal am Tag Insulin braucht, dann kann ich den Zeitaufwand dafür nicht komprimieren oder ihm donnerstags sechsmal Insulin geben, damit ich freitags freimachen kann. Zudem ist die Vergütung in der Pflege gesetzlich vorgeschrieben. Für vier Tage Arbeit fünf bezahlen – da machen die Pflege- und Krankenkassen nicht mit. In vielen der systemrelevanten Berufe herrscht schon heute Fachkräftemangel. Eine politisch geförderte Einführung der Viertagewoche in anderen Branchen würde diesen weiter verschärfen, weil es noch schwieriger wird, junge Menschen für diese wichtigen Berufe zu begeistern.

Jasmin Arbabian-Vogel ist Präsidentin des Verbands deutscher Unternehmerinnen und geschäftsführende Gesellschafterin der Interkultureller Sozialdienst GmbH. © Verband Deutscher Unternehmerinnen e.V. / Martin Huch

Studien, die zeigen, dass die Viertagewoche funktionieren kann, berücksichtigen diese Unterschiede zwischen den Branchen häufig nicht. Es nehmen dann Unternehmen teil, die ohnehin schon vorhatten, das Konzept zu testen, und über eine entsprechende Struktur und Unternehmenskultur verfügen. Manche Branchen, etwa das produzierende Gewerbe oder die Pflege, sind da nicht vertreten. Solche Studien geben einen interessanten Einblick, was möglich ist, aber sie sind nicht repräsentativ für die gesamte Wirtschaft.

Die gesellschaftliche Debatte um die Viertagewoche spiegelt sich auch bei uns im Verband deutscher Unternehmerinnen wider. Wir haben beide Positionen sehr klar vertreten. Manche Unternehmen lehnen sie deutlich ab, doch gerade junge Unternehmerinnen, die sich uns anschließen, wollen neue Wege gehen. Sie haben im Blick, was wichtig ist für die Welt von morgen, und gründen beispielsweise ohne Exit-Option, weil sie langfristig denken. Ich gehe davon aus, dass es sich mit der Viertagewoche verhalten wird wie mit der Digitalisierung: Überall, wo sie eingeführt werden kann, wird sie eingeführt werden. Wichtig ist, dass die Politik diese Entscheidung den Unternehmen überlässt. Die Viertagewoche sollte keine Doktrin werden, wie etwa die Erörterungspflicht zum Homeoffice, die während der Coronapandemie beschlossen wurde. Danach müssen auch Unternehmen in Branchen, die niemals das Homeoffice einführen können, mit ihren Mitarbeiter*innen erörtern, warum sie sie nicht ins Homeoffice schicken. Das ist Unsinn! Genauso wenig sollten Unternehmen zukünftig verpflichtet werden, zu erklären, warum sie keine Viertagewoche einführen.

In vielen der systemrelevanten Berufe herrscht schon heute Fachkräftemangel. Eine politisch geförderte Einführung der Viertagewoche in anderen Branchen würde diesen weiter verschärfen.
Jasmin Arbabian-Vogel

Diese Fragen sind Teil einer größeren Debatte um Arbeitszeitsouveränität und das deutsche Arbeitszeitgesetz. Das stammt noch aus den 60er-Jahren und muss dringend überholt werden. Danach dürfen Mitarbeiter*innen maximal acht Stunden am Tag arbeiten und müssen danach elf Stunden Ruhezeit einhalten. Wenn diese Ruhezeit zum Beispiel durch das Beantworten einer E-Mail unterbrochen wird, beginnen die elf Stunden von vorne. Viele Arbeitgeber*innen wollen ihren Mitarbeiter*innen mehr Flexibilität geben, doch sie bewegen sich dabei gesetzlich in einer Grauzone. Gleichzeitig wissen wir, dass Flexibilität für Arbeitnehmer*innen extrem wichtig ist, um Arbeit und Privatleben besser miteinander vereinbaren zu können. Sinnvoller ist beispielsweise die Vereinbarung einer Wochenarbeitszeit, die beliebig auf die Arbeitstage aufgeteilt werden kann – sofern die Arbeit es strukturell erlaubt.

Und was denkst Du?

Viertagewoche: Nur was für Start-ups und Digitalfirmen – oder die Arbeitswelt von morgen? Es gibt viele Argumente auf beiden Seiten. Fest steht: Es gibt einiges zu besprechen. Wir möchten wissen, wie du zu Fragen aus dem Bereich Neue Arbeitswelten und weiteren Themen stehst, die für unsere Zukunft entscheidend sind. Anlässlich des 50. Jubiläums lädt dm dich zum Dialog ein: Mach mit bei „Und was denkst Du?“ und teile uns innerhalb der Umfrage mit, wie du dir deine eigene und unsere gemeinsame Zukunft vorstellst.

Eine Woche Zukunft

dm feiert in diesem Jahr unter dem Motto „Lust auf Zukunft“ 50-jähriges Jubiläum und bringt auf der Zukunftswoche vom 25. bis zum 29. September namhafte Repräsentantinnen und Repräsentanten aus Politik, Wissenschaft, Gesellschaft, Medien und Kultur miteinander in den Dialog. Im Vordergrund stehen dabei die fünf Zukunftsthemen, für die sich dm engagiert: Das Ich im Wir, Ökologische Zukunftsfähigkeit, Kinder und Jugendliche, Neue Arbeitswelten und Gesundheit.

 

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